Arbeitswelten 2004

Schöne neue Arbeitswelt? Über die Darstellung zeitgenössischer Arbeitsverhältnisse im Film.

(Michael Loebenstein, Dominik Kamalzadeh, Dieter Pichler – Kuratoren)

Wie wirken sich zeitgenössische Arbeitsverhältnisse - meist unter Schlagworten wie Neoliberalismus oder New Economy subsumiert - auf Individuen und Gesellschaft aus? Diese Frage bildet den allgemeinen gesellschaftlichen Hintergrund, vor dem die Reihe Arbeitswelten sich jüngeren dokumentarischen Filmen und Videos aus Europa widmet. In vier Filmprogrammen präsentieren wir Beispiele dafür, wie neuere, oft als prekär oder atypisch bezeichnete Arbeitspraktiken im Dokumentarfilm auftauchen.

Diese Arbeitsmodelle stehen in enger Beziehung zum Selbstverständnis jener Menschen, die die Filme porträtieren. Sie durchdringen Sprache und Gesten und zeitigen Folgen für das politische und soziale Denken der ProtagonistInnen. Wenn der Wettbewerb und die Selbstdisziplinierung bis hinein in die Sitzhaltung wirken, sind Arbeit und Freizeit kaum mehr unterscheidbar; Flexibilität, Mobilität, Kreativität und Erfindungsreichtum machen - als Anforderung der neuen Wirtschaft - den Arbeitnehmer zum Lebenskünstler, zum Manager in eigener Sache, zur Ich-AG.

„So etwas wie Gesellschaft gibt es nicht - nur Individuen“, hieß es in den 80er-Jahren bei Margaret Thatcher. Tendenziell widersprechen die Filme unseres Programms dieser Konzeption von der New Economy als „Vereinzelungsmaschine“. Auch wenn sich die einzelnen Filme an Individuen und ihren Lebensentwürfen orientieren, so erzählen sie doch immer auch von Relationen, den Verhältnissen, die der/die Einzelne zu seiner/ihrer Umwelt unterhält. Selbst die „Einzelkämpfer“ des Postfordismus agieren im Wettkampf mit anderen (und sei es auch nur der eigene „Schweinehund“); sie arbeiten in funktionalen Räumen, legen Wege zurück, haben Familie, Freunde oder Konkurrenten. Arbeitswelten erlaubt einen filmischen Einblick in diese Lebenswelten.

Der Fokus des Programms liegt auf Produktionen der letzten zwei Jahre, auf fünf Dokumentarfilmen, denen wir einen Spielfilm gegenüber stellen. Während der Auswahl stellten wir fest, dass etliche Arbeiten aus einem fernsehnahen Umfeld stammen. Dieses Phänomen, das auch im Rahmen einer Diskussion thematisiert werden soll, wirkt sich natürlich auf die ästhetischen Herangehensweisen aus: Nicht auf zeitliche Dauer und Insistenz angelegtes Fragen und Beobachten dominieren die Filme, sondern kurzfristigere Investigationen, die insgesamt einem reportagehaften Ansatz näher stehen.

Zwei Filme kommen aus der Reihe „Absolute Beginners - Der erste Job“, die das ZDF 2003 im Rahmen des „Kleinen Fernsehspiels“ initiiert hat: Katrin Rothe begleitet in DUNKLER LIPPENSTIFT MACHT SERIÖSER zwei Akademikerinnen bei der Arbeitssuche, wobei die Vorstellungsgespräche von den Protagonistinnen nacherzählt und von Rothe als Zeichentrickszenen nachgestellt werden. Der Film beschäftigt sich vornehmlich mit den Reflexionen, die der Prozess der Arbeitsuche einem aufzwingt und dadurch zu einer gesteigerten Selbstwahrnehmung beiträgt: Wie verhalte ich mich richtig? Wie vermittle ich den besten Eindruck? Oder: wie reagiere ich auf standardisierte Interviews?

Rothe nimmt dabei ein wenig die Rolle einer Komplizin ein, während Marc Bauder in GROW OR GO - DIE ARCHITEKTEN DES GLOBAL VILLAGE zu seinen Wirtschaftsstudiumsabsolventen um Distanz bemüht ist: Bei diesen stellt sich auch nicht mehr die Frage nach dem passenden Job, sondern vielmehr jene, wie man sich als junger (und hoch bezahlter) Unternehmensberater an die Erfordernisse der Arbeit anpasst. In GROW OR GO lässt sich aber auch beobachten, wie Arbeit Subjektivität mitkonstituiert, wenn die ProtagonistInnen ihre Tätigkeit ausüben, ohne diese sonderlich zu hinterfragen - und sich selbst das Privatleben noch an den Vorgaben der Corporate Identity orientiert.

Komplementär dazu verhält sich der Kurzfilm SITZEND ÜBERLEBEN von Caroline Schmitz, der sich weg von den Menschen hin zur Innenarchitektur von Firmen bewegt: Arbeit wird hier vor allem durch den Raum als Life- Style definiert; schicke Interieurs stärken das Bewusstsein, den richtigen Job zu tun, und lassen den Arbeiter Teil einer exquisiten Kultur werden, in der individuelle Bedürfnisse keine große Rolle mehr spielen.

Als eine Art Korrektiv- oder auch Vergleichsfilm haben wir JeanMarc Moutouts Spielfilm VIOLENCE DES ÉCHANGES EN MILIEU TEMPÉRÉ ausgewählt, weil er die Probleme, die die dokumentarischen Arbeiten aufwerfen, in eine moralisch gefärbte Handlung überführt und so um eine psychologische Facette ergänzt: Einem jungen Consulter wird die Aufgabe übertragen, eine marode Firma zu rationalisieren, und er gerät darüber in einen Gewissenskonflikt. „Work hard, play hard“, lautet hier die Devise, die die Figur noch nicht so verinnerlicht zu haben scheint wie seine Kollegen aus dem Dokumentarfilm, die Einsparungen formelhaft zu rechtfertigen verstehen.

Ein Korrektiv anderer Art stellen zwei Titel dar, die sich den Arbeitsund Lebensbedingungen von ArbeitsmigrantInnen widmen: Karin Machers PEREGRINA/GUTE ARBEIT erzählt vom hohen Grad an Selbstverantwortung, Flexibilität und Anpassungsfähigkeit, der gerade jungen Frauen in Saisoniersjobs in der österreichischen Wirtschaft abverlangt wird. Wohlgemerkt zu Niedriglöhnen. Auch hier bestimmen zeitlich wie sozialrechtlich „entgrenzte“ Arbeitsmodelle den Alltag, der zwischen dem Traum einer besseren Absicherung der Familie und der möglichen Rückkehr in die Heimat oszilliert.

 

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